Der Europäische Gerichtshof hat am 22.9.2022 drei durch das Bundesarbeitsgericht (-9 AZR 245-19-; -9 AZR 401/19-; -9 AZR 266/20-) eingeleitete Vorabentscheidungsverfahren entschieden:
In zwei Fällen (-C-518/20- und -C-727/20-) hatten die Kläger jeweils nicht ihren vollen gesetzlichen Urlaubsanspruch in Anspruch genommen, bevor sie im Laufe des Kalenderjahres dauerhaft arbeitsunfähig bzw. erwerbsunfähig geworden waren. Die beklagten Arbeitgeber argumentierten, dass die Urlaubsansprüche jedenfalls nach Ablauf des Übertragungszeitraums von 15 Monaten erloschen waren. Im dritten Fall (-C-120/21-) hatte die Klägerin ihren Urlaubsanspruch in einem Jahr aufgrund der hohen Arbeitsbelastung nicht vollständig in Anspruch nehmen können. Der beklagte Arbeitgeber berief sich auf die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Das Bundesarbeitsgericht legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob Urlaubsansprüche in den genannten Fällen auch dann verfallen bzw. verjähren können, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, Urlaub zu nehmen.
Der Europäische Gerichtshof verneinte dies. Zwar sei es im Falle von langzeiterkrankten Arbeitnehmern grundsätzlich zulässig, einen Übertragungszeitraum von 15 Jahren anzunehmen. Denn anderenfalls sähe sich der Arbeitgeber der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können, ausgesetzt. Vorliegend ging es jedoch um Urlaubsansprüche, die im Laufe eines Bezugszeitraums erworben wurden, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hatte, bevor er voll erwerbsgemindert bzw. arbeitsunfähig geworden war. Auch eine Verjährung scheide bei unterlassener Unterrichtung aus. Anderenfalls könne sich der Arbeitgeber seiner eigenen Pflichten unter Berufung auf einen fehlenden Urlaubsantrag des Arbeitnehmers entziehen. Dies laufe auch dem Zweck, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwider.
Nachdem der Europäische Gerichtshof die Vorlagefragen nun geklärt hat, entscheidet das Bundesarbeitsgericht über die Revisionen am 20.12.2022. Aufgrund der klaren Position des Europäischen Gerichtshofes wird es in allen drei Verfahren entscheidend darauf ankommen, ob seitens des Arbeitgebers nachweisbar auf einen drohenden Verfall der Urlaubsansprüche hingewiesen wurde.
Gerne beraten wir Sie zu sämtlichen Fragen im Zusammenhang mit Urlaubsansprüchen und der arbeitgeberseitigen Hinweispflicht.
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